Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen by Ingrid Schilling-Frey

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen by Ingrid Schilling-Frey

Autor:Ingrid Schilling-Frey [Schilling-Frey, Ingrid]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3453280318
Herausgeber: Ludwig Buchverlag


Von Menschenhand gemacht: Die Kultur

Von Menschenhand gemacht: Die Kultur

Führen die Errungenschaften der Menschheit zu Freiheit und Glück?

Der »vergesellschaftete« Mensch

Jean-Jacques Rousseau stellte sich vor, dass der Mensch sich aus dem »Goldenen Zeitalter« heraus weiterentwickelte zum Gesellschafts- beziehungsweise Kulturmenschen. Denn durch einen, wie Rousseau es nannte, »verhängnisvollen Zufall« entdecken die Menschen die Vorzüge der Arbeitsteilung. Sie produzieren nicht mehr nur für Ihren eigenen Bedarf, sondern über ihre Bedürfnisse hinaus und gelangen so von einer Substitutionswirtschaft zur Produktionswirtschaft. Zum ersten Mal in der Geschichte wollen Menschen besitzen!

Eigentum besitzen kann der Mensch jedoch nur dann, wenn er das Land, auf dem er lebt, eingrenzt und verteidigt. Grenzzäune werden gebaut. Es findet eine Spaltung, eine Trennung von Innen und Außen statt. Das betrifft aber nicht nur die Dinge der Welt, sondern vor allem den Menschen selbst. In dem Moment, wo der Mensch sein Eigentum einzäunt, fängt er an, sich mit anderen zu vergleichen. Damit steigt das Bedürfnis, mehr besitzen zu wollen, und es entsteht eine Dissymmetrie von Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung. Immer mehr versucht der Mensch, Herr über die Natur zu werden, sie auszubeuten, und zerstört damit das natürliche Gleichgewicht. Jetzt zählt nur noch eins: Was bin ich wert, was gelte ich? Das natürliche Prinzip der amour de soi, der Selbstliebe, geht verloren, denn die amour propre, die Selbstsucht, ist geboren. Jetzt kommt es dem Menschen nur noch darauf an, in den Augen der anderen viel wert zu sein. Die äußere Haltung entspricht nicht mehr dem Herzen. Der Mensch entfremdet sich selbst in seinem Schein. Er wird abhängig von seinem Besitz und damit unfrei.

Da die Freiheit für Rousseau jedoch ein wesentlicher Bestandteil des Menschseins ist, geht für ihn der Mensch als Gattungswesen zugrunde. Den zivilisierten und kultivierten Menschen beschreibt Rousseau in seiner Schrift Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen wie folgt: »Alle unsere Fähigkeiten sind also jetzt entwickelt, Gedächtnis, Einbildungskraft sind im Spiel, die Selbstsucht ist geweckt, der Verstand ist tätig, der Geist hat bald den Gipfel der ihm möglichen Vollendung erreicht. Alle unsere natürlichen Eigenschaften finden ihre Verwendung, Rang und Schicksal jedes Menschen sind festgelegt, nicht allein in Bezug auf den Geist, die Schönheit, die Kraft oder die Gewandtheit und in Bezug auf Verdienst oder Talente. Da diese Eigenschaften allein Achtung verschaffen konnten, musste man sie entweder besitzen oder vortäuschen. Man musste sich um seines Vorteils willen anders zeigen als man wirklich war. Sein und Scheinen wurden zwei völlig verschiedene Dinge.«28

Der zivilisierte und kultivierte Mensch, der Mensch im Gesellschaftszustand, ist für Rousseau das Wesen, das nur noch im Außen und nicht mehr im Innen lebt. Es zählt nur noch das, was er besitzt. Denn dieser Besitz bestimmt, ob der Mensch etwas wert ist oder nicht. Ob er Dinge jedoch wirklich besitzt oder ob er nur so tut, spielt keine Rolle mehr: Der Gedanke dürfte uns nicht unbekannt sein, wenn wir die vielen teuren Leasingautos auf unseren Straßen sehen.

Der kultivierte Mensch Rousseaus nutzt die Sprache nicht mehr, um seine unmittelbaren Bedürfnisse ausdrücken zu können, sondern entwickelt eine Rhetorik, eine unpersönliche Sprache, die er dazu nutzt, als etwas zu erscheinen, das er gar nicht ist.



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